„Himmelskörper, Tintenfische und Vulkane: die antiken Wurzeln der modernen Naturwissenschaften“ am 21. Januar 2020 im Gymnasium Philippinum
Wundervoll ist die Welt, wundervoll und geheimnisvoll! Am Anfang der Wissenschaft steht das Staunen – so schreibt es Platon in seinem Dialog Theaitetos. Das Staunen über die Wunder der Welt, das ist das maßgebliche Gefühl, das die Griechen die Wissenschaften etablieren ließ. Mit einer erstaunlichen Begeisterungsfähigkeit und Beharrlichkeit gingen sie den Dingen auf den Grund. Sie beobachteten die Phänomene der Welt, die wir heute als naturwissenschaftliche Selbstverständlichkeiten hinnehmen: Vulkanausbrüche, Bäume, die ihre Blätter abwerfen und bald darauf wieder in neuem grünen Gewand erstrahlen, der Blutkreislauf, der Zeugungsakt, das Meer, das bald da, bald weg ist, die Sterne mit ihren Bahnen und ihrem Einfluss auf unser Leben auf der Erde. Die Griechen waren die Pioniere der Mathematik, formulierten Sätze, die wir heute noch nachvollziehend lernen und anwenden.
Weil wir heute unsere Smartphones und Tablets benutzen und alles googeln können, bilden wir uns ein, wir hätten all das selbst verstanden. Wir sind heute technisch viel weiter, können viel genauer messen und überprüfen. Und dass Aristoteles bei seiner Erklärung des Zeugungsaktes den aktiven Beitrag der Frau übersehen hat, darüber lächeln wir heute. Das weiß doch jedes Kind, dass die Frau die Eizelle gibt, der Mann den Samen.
Anders als für uns moderne Menschen, die wir von den der langen Tradition der wissenschaftlichen Erforschung der Welt profitieren, mussten die Alten all das Kuriose und unerklärlich Erscheinende selbst untersuchen, Hypothesen aufstellen, Erklärungen finden.
Der Schülertag hat uns die Anfänge unserer wissenschaftlichen Sicht auf die Welt und auf uns selbst lebendig vor Augen gestellt. In dem einleitenden Vortrag von Frau Prof. Föllinger und den daran anschließenden Workshops unter Anleitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Philipps-Universität wurde für die Schülerinnen und Schüler der Klassen 10-12 des Gymnasium Philippinum nachempfindbar, dass wahrer Erfindergeist nicht davon angetrieben wird, welchen praktisch anwendbaren Nutzen eine Erkenntnis hat. Den Pionieren der Wissenschaften ging es um das Verstehen. Dass vieles, was man da erkannte, auch nützlich war, war eine willkommene Begleiterscheinung, aber nicht der Motor der Bemühungen. Fortschritt ist ein Resultat von Wissensdurst, nicht von Nutzenkalkulationen.
Ein klein wenig demütig konnte man an diesem Tag werden, wenn man angesichts der Überlegungen, die die antiken Forscher angestellt haben, merkte, dass wir – auf uns selbst gestellt – wohl kaum eines von diesen Phänomenen hätten selbst erklären können. Das ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Anwendung. Forscher und Erfinder sein ist doch etwas mehr als User, auch wenn man als Forscher bisweilen in die Irre geht.
Natürlich gab es auch in der Antike nicht nur Menschen, die sich mit den großen Denkaufgaben befassen wollten. Die Naturforscher wurden damals von vielen Zeitgenossen als Nerds belächelt. Wir Menschen neigen zur Bequemlichkeit, und es ist ja auch toll, das einfach nutzen zu können, was andere mühsam erfunden haben. Für die großen Würfe reicht das aber nicht. Unsere Gesellschaft braucht diese Menschen, die mehr als nur User sein wollen.
Ein Tag wie dieser ermöglicht, sich einmal einzufühlen in diese Zeit des geistigen Aufbruchs und in ihre großen Denker, die nicht viel mehr als die eigenen Augen und den eigenen wachen Verstand hatten, sich die Welt zu erklären.
Die Beschäftigung mit den Alten gibt uns – gerade im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung und in einer sich stets wandelnden Gesellschaft – wichtige Impulse und Anregungen für den eigenen Forschergeist und die Kreativität. Schneiden wir uns öfter mal eine Scheibe von den alten Griechen ab! Wir können viel von ihnen lernen. Schön, dass das Philippinum in Marburg diese Möglichkeit bietet!
Dr. Marion Clausen (Fachsprecherin Latein und Griechisch, schulische Organisatorin Schülertag)